Wie sieht der perfekte Körper aus?
Spieglein, Spieglein an der Wand – wie viel Zeit verbringen wir eigentlich damit, unser Spiegelbild zu betrachten? Wir vergleichen uns ständig mit dem vermeintlichen Norm von Schönheit. Aber wie sieht er überhaupt aus, der perfekte Körper? Tja, wenn es darauf eine einfache Antwort gäbe, hätte dieser Beitrag vermutlich keine Leser*innen. Wir versuchen uns dennoch an der Definition von Schönheit und klären, warum das schöne Geschlecht vermutlich gar nicht weiblich ist. Aber beginnen wir mit der Frage, ob Schönheit wirklich wichtig ist.
Ist Schönheit wirklich wichtig?
Erfüllt Schönheit einen Zweck oder ist es allein der durch Medien aufgebaute Druck, der uns nach Schönheit streben lässt? Die neuesten Diskussionen lassen vermuten, dass Schönheit als Konzept allmählich ausgedient hat. Denn nach Body Positivity ist jetzt Body Neutrality groß im Kommen. Dabei geht es, wie der Name schon sagt, um eine neutrale Haltung zum eigenen Körper, die Besinnung auf persönliche Entwicklung statt Körperoptimierung.
Versuchen wir uns mal von Instagram-Hashtag-Trends zu entfernen und wenden uns der Theorie zu. Der Sozialphilosoph Pierre Bourdieu kann uns hier mit seinem Kapitalbegriff weiterhelfen.
Schönheit als soziales Kapital
Bourdieus Definition unterscheidet vereinfacht gesagt zwischen wirtschaftlichem, kulturellem und sozialem Kapital. Ersteres meint schlicht die Finanzkraft, mit kulturellem Kapital sind unter anderem Grad und Zugang zu Bildung gemeint und unter dem Begriff des sozialen Kapitals subsummiert Bourdieu alles, was im Austausch mit Mitmenschen wertvoll sein kann. Also Humor, Intelligenz, Manieren und eben auch Schönheit.
Der Wert der Schönheit
Nach Bourdieu können die verschiedenen Arten des Kapitals ineinander übergehen. Aus Schönheit kann also theoretisch Geld auf der Bank werden. Damit sind weniger lukrative Modeljobs gemeint, sondern vielmehr Vorteile, die Attraktivität im Berufsleben mit sich bringt. Zahlreiche Sozialexperimente bestätigen einen Zusammenhang zwischen Attraktivität und Vertrauenswirkung auf andere Menschen. Unterm Strich haben es schöne Menschen also leichter im Leben.
Das klingt erst mal unfair, denn über unsere Schönheit entscheiden maßgeblich Gene, auf die wir keinen Einfluss haben. Aber ist das bei Intelligenz und Talenten nicht ähnlich? Die Idee hinter Body Neutrality, dem Körperkult ein gesundes Selbstbild entgegenzusetzen, hätte sicherlich auch Bourdieu gefallen. Denn ein attraktives Erscheinungsbild ist nur ein kleiner Bestandteil eines großen Vermögens, das sich aus individuellen Faktoren zusammensetzt. Damit den messbaren Wert von Schönheit als Teil des sozialen Kapitals komplett zu negieren, greift allerdings zu kurz.
Wer gilt als schön und was hat das mit Gesundheit zu tun?
Wenn Schönheit einen Wert an sich hat, dann gibt es sicherlich auch eine allgemeingültige Definition, oder? Warum gibt es denn so viele unterschiedliche Schönheitsstandards, die sich von Dekade zu Dekade unterscheiden?
Objektive Kriterien für Schönheit
Die Definition von Schönheit unterliegt seit Menschengedenken Trends und Modeerscheinungen. „Objektive“ Kriterien über Epochen und Kulturen hinweg sind nur schwer festzustellen. Die einzige Gemeinsamkeit: In Krisenzeiten mit verbreiteter Mangelernährung ist eher ein üppiger Körper gefragt, in Zeiten des Überflusses und des allgemeinen Übergewichts ein straffer, schlanker Körper.
Schönheit und Gesundheit
Man könnte das mit dem Darwinismus erklären: In Krisenzeiten haben Menschen mit einem höheren Fettanteil bessere Überlebenschancen, in Zeiten des allgemeinen Überflusses eher jene, die weniger anfällig für die mit Übergewicht einhergehenden Zivilisationskrankheiten sind. Dieser Ansatz stimmt auch mit neueren Forschungen überein. In einem kürzlich erschienenen Artikel stellten sich Bernd Klesper und Sabiel Majeed die Frage: „Sind schöne Menschen gesünder?“
Sie kommen zu dem erstaunlichen Schluss, dass bei Männern Schönheit und Gesundheit statistisch korrelieren. Dabei beziehen sie sich hauptsächlich auf körperliche Merkmale wie Körperproportionen und das Verhältnis von Hüfte zu Taille (WHR). Männer mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen Beinen sind häufiger auch gesund. Bei Frauen lässt sich ein Zusammenhang zwischen Aussehen und Gesundheit nicht so eindeutig feststellen, was den Autoren nach an den „Hilfsmitteln“ liegt, die Frauen zur Steigerung der Attraktivität nutzen. Oder haben wir uns bei der Festlegung des schönen Geschlechts etwa getäuscht?
Das Schönste an den meisten Männern ist die Frau an ihrer Seite.
Henry Kissinger
Sind Männer das schönere Geschlecht?
Darwin stellte fest, dass in der Tierwelt das „schöne Geschlecht“ meistens männlich ist. Buntes Gefieder lockt Weibchen an, aber eben auch Fressfeinde. Evolutionär gesehen hat die Schönheit in der Tierwelt also nur bei der Fortpflanzung einen Nutzen. Männchen sind also attraktiv, um das Weibchen davon zu überzeugen, ein geeigneter Partner zu sein. Weibchen hingegen sind eher unscheinbar.
Natürlich kann man das nicht 1:1 auf den Menschen übertragen. Aber der Körper von biologischen Frauen ist gewissermaßen „praktischer“ gestaltet. Weibliche Sexualhormone helfen bei der Einlagerung von Fettreserven, die im Falle einer Schwangerschaft überlebenswichtig sein können, und sorgen dafür, dass das Bindegewebe weich und dehnbar ist. Vielleicht gilt der weibliche Körper als Muster der Schönheit, weil man jahrhundertelang fast nur Männer nach ihrer Meinung gefragt hat.
Möglicherweise steht die Schönheit bei Frauen besonders im Fokus, weil sie viel zu lange Zeit weniger wirtschaftliches und kulturelles Kapital zur Verfügung hatten. Wenn sich also gesellschaftliche Verhältnisse ändern, könnte sich auch der Anspruch an Attraktivität verändern.
Fazit: Schönheit kommt vielleicht doch von innen
Man kann mit einer Krankheit wunderschön sein, umgekehrt ist Gesundheit nicht unbedingt gleichbedeutend mit Schönheit. Model Winnie Harlow wurde trotz oder gerade wegen ihrer Erkrankung Vitiligo weltweit bekannt. Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. Es gibt keine allgemeingültige Schönheit und schön sein ist keine Norm, der man genügen muss.
Ein positives Selbstbild hingegen ist unbezahlbar. Denn damit geht ein geringeres Risiko für Depressionen einher. Ob man im perfekten Verhältnis zur eigenen Schönheit Body Neutrality oder die Optimierung des Erscheinungsbildes sieht – Hauptsache, man fühlt sich wohl in der eigenen Haut. Und was ist jetzt mit der Definition des perfekten Körpers? Die vergessen wir am besten ganz schnell und widmen uns dem eigenen Spiegelbild.
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