Fatshaming: Das schwerwiegende Problem mit dem Körperkult
Im 17. Jahrhundert waren „Skinny bitches“ verpönt, heute werden vor allem füllige Frauenkörper abgewertet. Die Folgen können dramatisch sein, dennoch wird dieser fragwürdigen Praxis zu wenig entgegengesetzt. Wir machen eine Bestandsaufnahme und klären auf, warum Fatshaming unbedingt aufhören muss.
Fatshaming für die kollektive Gesundheit?
Faul und willensschwach, diese Eigenschaften werden „Dicken“ zugeschrieben. Mit ihrem Übergewicht gefährden sie unnötig ihre Gesundheit, das gehört geächtet. Man macht es sich allerdings viel zu leicht, wenn man den Fingerzeig auf adipöse Menschen mit dem Anspruch auf Gesundheit rechtfertigt. Die Statur sagt erst mal nichts über Blutdruck oder Zuckerwerte aus. Auch schlanke Menschen können übermäßig viel Bauchfett angesammelt haben, das Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt. Übergewichtige Personen können sich gesund ernähren, regelmäßig Sport treiben und sehr gesunde Blutwerte haben.
Gesundheit kann nicht einfach am Gewicht festgemacht werden. Und ganz abgesehen davon: Muss man unbedingt mit dem Finger auf ungesunde Verhaltensweisen zeigen, nur weil man es selbst besser weiß?
Das steckt hinter Fatshaming
Wenn es bei der Angst vor dem Fett anderer nicht (allein) um die Sorge um deren Gesundheit gehen kann, worum geht es dann?
Die Empörung über Rundungen ab Konfektionsgröße 40 rührt meist daher, dass sie eine Norm überschreiten. Wir alle tun es, wir alle bewerten unsere Körper und vergleichen uns mit anderen. Es geht dabei darum, dass Körper eine gesellschaftliche Schönheitsnorm zu erfüllen haben. Diese Norm wandelt sich ständig und hat nicht viel mit einer gesunden Lebensweise zu tun. Früher galt die Rubensfigur als erstrebenswert, heute sollten Frauen möglichst schlank und trotzdem kurvig sein, zwischendrin mochte man sie mal extrem mager, mal üppig.
Dieses „mochte man“ drückt die Objektifizierung aus, der vor allem der weibliche Körper seit Jahrhunderten unterliegt. Der Mensch wird auf das Äußere reduziert, was zur Abwertung bis hin zur Entwertung weiblicher Körper jenseits der gerade angesagten Mode führt. Wer Cellulite hat darf keine Miniröcke tragen, Dehnungsstreifen versteckt man besser unter ein paar Lagen Kleidung. Was nicht ins Bild passt, darf nicht gezeigt werden. Also pack dich bitte ein oder nimm gefälligst ab.
Der schönste Körper ist der, in dem du dich wohlfühlst.
Zitat aus unserem selbstkritischen Beitrag zum Weltfrauentag
Warum ist Fatshaming ein Problem?
Fatshaming ist ein Problem, weil es Menschen diskriminiert. Das Stigma wird an vielen Stellen deutlich und die psychischen Folgen können schlimmer sein als die gesundheitlichen Risiken des Übergewichts selbst: Stress, Depressionen, Angststörungen.
Nur weil Übergewicht vermeintlich überwindbar ist, ist es keine Einladung zur Abwertung. Wer unter Übergewicht leidet (also etwas daran ändern möchte), wird nicht dank abwertender Kommentare und vermeintlich gut gemeinter Tipps über Nacht schlank. Übergewicht hat komplexe Ursachen, die nicht einfach zu durchschauen sind. Natürlich kann man mit viel Disziplin und Willenskraft die Verhaltensweisen durchbrechen, die zu Übergewicht geführt haben. Doch das ist oft ein langwieriger Prozess, bei dem man mit Rückschlägen zu rechnen hat. Und selbst wenn 20 kg weniger auf den Rippen tatsächlich besser für die Gelenke wären, es bleibt eine individuelle Entscheidung, ob man Gewicht reduzieren möchte – oder eben nicht. Und selbst gutgemeinte Tipps sollte man grundsätzlich nur dann geben, wenn nach Rat gefragt wird.
Warum Fatshaming nichts mit Meinung zu tun hat
„Ich finde das einfach nicht schön. Darf ich jetzt keine Meinung mehr haben?“ Doch natürlich. Bei Oberflächlichkeiten wie dem Aussehen von Menschen oder beispielsweise bei der Inneneinrichtung sind Präferenzen prinzipiell erst mal kein Problem. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, oder? Wenn ich im Wartezimmer meines Zahnarztes allerdings einen Stuhl zerlege, dessen Polster meinem ästhetischen Empfinden nicht zusagt, ist es ein Problem – sogar ein sehr großes.
Was dem Sitzmöbel vermutlich nicht weh tut, kann für echte Menschen zu ernsthaften Verletzungen führen. Nämlich dann, wenn sie aufgrund ihres Äußeren in der Öffentlichkeit verhöhnt werden und in Kunst, Kultur und Medien unterrepräsentiert bleiben.
Menschen sind keine Objekte, die man nach Herzenslust be- und damit auch abwerten darf.
Vielfalt zulassen statt Fatshaming unterstützen
Oft machen wir es unbewusst, meinen es vielleicht sogar gut und schießen dennoch übers Ziel hinaus. Genauer gesagt: Wir diskriminieren und objektifizieren möglicherweise Menschen mit unseren Kommentaren und verletzten sie mit unserem Verhalten. Ein Kompliment zum Gewichtsverlust kommt möglicherweise noch gut an, ein vernichtendes Urteil zu „deinen Speckröllchen in diesem Top“ braucht wahrscheinlich niemand.
Deshalb sollten wir uns alle öfter mal fragen, ob unsere Meinung (ob positiv oder negativ) über die Figur eines anderen Menschen wirklich angebracht ist. Gibt es dafür einen driftigen Grund? Wurden wir nach einem Statement gefragt? Wird die Welt zu einem besseren Ort, wenn wir (vorwiegend Frauen-) Körper nach Maßstäben beurteilen, die häufig noch nicht einmal unsere eigenen sind?
Schönheit hat viele Facetten. Und weil sich über Geschmack eben nicht streiten lässt, sollten weder individuelle noch kollektive Schönheitsideale als Bewertungsmaßstab für andere herangezogen werden. Keiner von uns muss den ästhetischen Idealen anderer gerecht werden – beurteilen sollten wir nur uns selbst.